Schwelgernstadion in Duisburg. Foto: Udo Weier

Fever Pitch. Ballfieber – Die Geschichte eines Fans.

Beherrscht vom Fußball

Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden.1

Nick Hornby wurde mit diesem Roman international schlagartig bekannt. 1997 wurde der Roman in der Hauptrolle mit Colin Firth verfilmt.
Nick Hornby beschreibt seine Leidenschaft oder eher seine Besessenheit als Fußballfan von Arsenal London. Diese lebenslange Besessenheit beginnt in einer schwierigen Kindheitsphase. Hornbys Eltern leben in Scheidung. Der regelmäßige Besuch von Spielen fördert die Verständigung zwischen Vater und Sohn und gibt seinem Leben eine Struktur. Fußball wird ein Mittel zur Kommunikation. Vater und Sohn bekommen ein gemeinsames Gesprächsthema.
Im Zeitraum von 1968 bis 1992 beschreibt Hornby für ihn bedeutsame Spiele seines Arsenal London. Er verbindet die Erinnerungen an die Spiele mit Erinnerungen an seine persönliche Lebenssituation; seine Ausbildung, Berufstätigkeit, die Unsicherheit über seine Zukunft und seine Beziehungen zu Frauen. Bei wichtigen persönlichen Erlebnissen erinnert sich Hornby direkt an ein Spiel seines Vereins. So entsteht eine Autobiografie, die der Fußball dominiert. Er als Fan teilt sein Leben in andere Zeitabschnitte ein: In den Jahren mit ungeraden Zahlen finden keine Welt- oder Europameisterschaften statt, und die Saison ersetzt die Jahreszahl, z.B. Saison 66/67.
Mit seiner Besessenheit ist er an Arsenal gekettet. Lange vor Beginn des Spiels befällt ihn eine innere Unruhe. Gewinnt das eigene Team, ist dies ein persönlicher Sieg, der Probleme in seinem Leben verdeckt. Für Niederlagen seines Vereins fühlt er sich verantwortlich oder von seinem Verein verraten. Er erinnert sich an großartige Siege, aber an viele enttäuschende Spiele und Niederlagen. Sein Leben als Arsenalfan scheint eine Aneinanderreihung von Enttäuschungen zu sein, mit vielen Tiefpunkten und immer neuen Tiefpunkten. Er ist als Fußballfan nie zufrieden, ganz egal wie das Spiel steht. Fußball eine Form von Masochismus, sich zu amüsieren, indem man leidet.

Fußballteams sind außerordentlich einfallsreich, wenn es darum geht, Wege zu finden, ihren Anhängern Kummer zu bereiten.2

Für uns ist der Konsum alles; die Qualität des Produkts ist unerheblich.3

Er liebt nicht nur das Spiel, sondern auch die einmalige Stimmung im Stadion. Den Lärm, die Anfeuerungsrufe und Gesänge der Fans. Er fühlt sich als Teil des Ganzen, der das Geschehen mit beeinflusst. Der Besuch von Spielen Woche für Woche stärkt sein Zugehörigkeitsgefühl.
Fußball wird zu einer Therapie. Während des Spiels darf man den gegnerischen Fan hassen, beleidigen und kann für 90 Minuten aus der Realität fliehen. Für Hornby wird der Fußball zu einer erfolgreichen Therapie. Der Besuch von Fußballspielen heilt seine Depression und befreit ihn von seinen Ängsten.
Hornby schildert eindrucksvoll seine Gefühle als Arsenalfan. Er analysiert auch die Entwicklung des „modernen“ Fußballs. Zu Beginn war der Fußball ein Freizeitvertreib der working class. Dann bekam der Fußball Event Charakter, und man erschloss mit dem Bau neuer und komfortabler Stadien eine neue Zielgruppe, die „Mittelschicht“. ( Der Bau neuer Stadien ist zu begrüßen, die alten Stadien erfüllten nicht die Sicherheitsstandards von Großveranstaltungen). Ein Event der zahlungskräftigen Mittelschicht lässt sich an Sponsoren und Marketingmanager leichter verkaufen.
Dieses Buch ist ein „Klassiker“. Hornby beschreibt, welche leidenschaftlichen Gefühle Fußball weckt. Er beschreibt sein Leben als Fan mit Witz und Selbstironie und kann sich gleichzeitig sein Leben ohne Fußball und Arsenal nicht vorstellen. Er beschreibt das „Kind im Mann“, der nicht erwachsen wird; und empfindet sein eigenes Verhalten und das der Fans im Stadion als kindisch. Versteht ein Außenstehender die Besessenheit eines Fußballfans nach dieser Lektüre? Wohl kaum. Aber vielleicht, dass Fußball viel mehr als nur ein Spiel ist.

Fußball und Popmusik

Fußball ist unser Leben – Fußballnationalmannschaft WM 74

Am Anfang besuchten überwiegend Angehörige (Männer!) der Arbeiterklasse Fußballspiele. Seitdem jedes Fußballspiel als ein spektakuläres Ereignis verkauft wird, gehört auch der Fußball zur Popkultur. Also ist es auch nicht überraschend, wenn sich der Fußball mit der anderen Massenkultur Popmusik vereinigt. Die immer stärkeren Verbindungen der beiden Massenkulturen sind ein Zeichen für die zunehmende Kommerzialisierung des Fußballs bzw. förderten die Kommerzialisierung.
Es bestehen zahlreiche Verbindungen zwischen Fußball und Popmusik. Der in Watford aufgewachsene Elton John kaufte 1976 den FC Watford und wurde gleichzeitig Präsident. Oder Musiker outeten sich als Fan eines Fußballklubs. (Die Toten Hosen ließen sich eine Tour von einer Brauerei sponsern, um mit den Einnahmen Fortuna Düsseldorf vor dem finanziellen Ruin zu retten).
Andererseits betätigten sich Fußballstars als Sänger. Franz Beckenbauer oder die singenden deutschen Nationalmannschaften, die vor Weltmeisterschaften ins Tonstudio gingen. Für den DFB waren die Plattenverkäufe der singenden Nationalmannschaften lange Zeit ein lukratives Geschäft. Auf mich wirken singende Fußballstars peinlich und ich möchte ihnen zurufen: Schuster bleib bei deinen Leisten
Vor allem im Stadion bestehen viele Anlässe, Popmusik zu spielen: Beim Einlaufen der Mannschaften, bei einem Tor und eine wichtige Variante, die Fangesänge während des Spiels.
Vorlagen sind häufig bekannte Popsongs mit neuen Texten. Der Fangesang „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ beruht auf den Beatles Klassiker Yellow Submarine. Zu hören ist nicht immer gute Musik und die Lieder sind nicht besonders komplex. Diese Lieder passen ins Bierzelt oder eben ins Fußballstadion, denn ALLE sollen mit Spaß mitsingen.
Warum singen Fans? Das gemeinsame Singen stärkt den Gruppenzusammenhalt und fördert die Identifizierung mit der eigenen Mannschaft. Zusätzlich will man sich abgrenzen. Das gemeinsame Singen ist eine Stärke- und Machtdemonstration, damit die gegnerischen Fans hören, wer der „Herr im Stadion“ ist. 
Fußballspiele ohne Fangesänge wirken kalt und emotionslos. Dies konnten wir während der Corona Pandemie sehen, aber vor allem hören.
Fangesänge im Stadion gibt es erst seit 1963 und alles fing im Mutterland des Fußballs, in England an.
Im Nebel spielte der FC Liverpool an der Anfield Road. Die Zuschauer sahen wenig vom Spiel. Erst als die Liverpooler Mannschaft zum Mittelkreis lief und die gegnerische Mannschaft den Ball in den Mittelkreis legte, jubelten die Fans in der Kop, der Liverpooler Fantribüne über das Tor ihrer Mannschaft. Aus dem Nebel ertönte ein vielstimmiger Chor:​„Who scored the goal, who scored the goal?“ Schnell kam die Antwort aus dem Nebel:„Hateley scored the goal, Hateley scored the goal.“ Dieses Ereignis war ein Ausgangspunkt für die Fangesänge.
Eine andere Inspiration war die Fußballweltmeisterschaft 1962 in Chile, die zum ersten Mal im Fernsehen übertragen wurde, und die englischen Fans hörten die rhythmischen Bra-sil Anfeuerungsrufe. Diese Inspirationen und die zur gleichen Zeit entstehende Popmusik wurden zum Ursprung der englischen Fangesänge.
Jeder Fußballklub verfügt heute über seine eigene Vereinshymne. Übrigens gilt der Zebratwist des MSV Duisburg als älteste Vereinshymne in Deutschland und wird noch heute gespielt.
Die schönste Fußballhymne in der Bundesliga hat für mich der VfL Bochum. Herbert Grönemeyers Song Bochum ist die inoffizielle Stadthymne. Ich war selber häufiger bei Heimspielen des VfL Bochum und habe die Gänsehautstimmung erlebt, wenn vor Spielbeginn Bochum gespielt wurde und die Fans laut mitsangen.

Herbert Grönemeyer – Bochum (offizielles Musikvideo)

Machst mit dem Doppelpass
(Jeden Gegner nass)
Du und dein VfL

Die berühmteste Fußballhymne ist die Schnulze You’ll Never Walk Alone, bei der sogar die härtesten Fußballfans mitsingen.
Im Text kommt der Fußball nicht vor und doch passt der Song mit seiner allgemeinen Lebensweisheit

Walk on, walk on. With hope in your heart. And you’ll never walk alone.

auch gut zum Fußball: Man darf niemals aufgeben. Das Lied stammt von den beiden Autoren Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II und ist das Schlusslied im Broadway Musical Carousel. Das Musical lief von 1945 bis 1947 am Broadway. Die Grundlage ist das Bühnenstück Liliom von Ferenc Molnár. 
1963 produzierte die Liverpooler Band Gary and the Pacemaker eine Coverversion, die zur Stadionhymne des FC Liverpool wurde.  Der Sänger der Band Gerry Mardsen verstarb leider 2021.
In den 60-iger Jahren wurden vor Beginn des Spiels die Top Ten gespielt. Ab 1963 auch die Coverversion von Garry and the Pacemaker. Als der Song aus den Top Ten flog, forderten die Fans, den Song weiterzuspielen. Eine Legende besagt, dass beim Abspielen dieses Liedes die Soundanlage ausfiel und die Fans den Song weitersangen.
Heute wird dieses Lied weltweit in vielen Stadien gespielt.

Nick Hornby. Fever Pitch. Ballfieber – Die Geschichte eines Fans. Ausgabe 1997. Verlag Kiepenheuer & Witsch
1) S.19
2) S.172
3) S. 204

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