Marcel Proust: Ein berühmtes Gebäck und die Gehirnforschung.
In der berühmten Szene aus dem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust genießt der Icherzähler Marcel zum Tee eine Madeleine, ein Feingebäck, und in dem Moment, als der Tee und das Gebäck seinen Gaumen berührt, überkommt ihn ein Glücksgefühl.
In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. Mit einem Schlage waren mir die Wechselfälle des Lebens gleichgültig, seine Katastrophen zu harmlosen Mißgeschicken, seine Kürze zu einem bloßen Trug unsrer Sinne geworden; es vollzog sich damit in mir, was sonst die Liebe vermag, gleichzeitig aber fühlte ich mich von einer köstlichen Substanz erfüllt: oder diese Substanz war vielmehr nicht in mir, sondern ich war sie selbst.1
Aber neben dem Glücksgefühl weckt die Kombination aus Geschmack, Geruch des Tees und des Gebäcks seine verlorenen Kindheitserinnerungen, und diese Stelle ist der Ausgangspunkt für die dann folgende Erzählung.
Und dann mit einem Male war die Erinnerung da…….Der Anblick jener Madeleine hatte mir nichts gesagt, bevor ich davon gekostet hatte; …….2
Diese Romanszene inspirierte auch Neurowissenschaftler, die versuchen zu verstehen, wie das Erinnern in unserem Gehirn abläuft. Der Geruch spielt eine zentrale Rolle für das Erinnern. Die Geruchswahrnehmung verfügt über eine direkte Leitung zu Teilen des Gehirns, die für die Verarbeitung von Emotionen, für das Lernen und bestimmte Erinnerungsleistungen verantwortlich sind. Der auftretende Effekt, dass ein Geruchserlebnis Erinnerungen hervorruft, wird nach dieser Romanszene in der Psychologie auch als Proust Phänomen oder Madeleine Effekt bezeichnet.3
Marcel Proust. In Swanns Welt. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Suhrkamp Taschenbuch 644. Deutsch von Eva Rechel-Mertens
1) S.63 – 64
2) S.66
3) Jonah Lehrer. Prousts Madeline. Hirnforschung für Kreative. Piper Verlag, München 2020