Foto: Udo Weier

Andrea Wulf. Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur

In der Einleitung beschreibt Andrea Wulf einen Höhepunkt in Humboldts Leben. Er steht 1802 auf dem höchsten bekannten Berg, 600 m unterhalb des Gipfels am Chimborazo in Ecuador und das ohne Bergsteigerausrüstung. Noch nie war ein Mensch so hoch vorgestoßen. Noch nicht einmal die Ballonfahrer. Ein Höhenrekord, der bis 1880 Bestand hatte, denn erst dem Bergsteiger Edward Whymper gelang es mit einer Gruppe den Gipfel zu erreichen5. Beim Aufstieg nimmt Humboldt verschiedene Messung vor und beschreibt als erster die Höhenkrankheit.
Humboldt ein Naturforscher und Abenteurer mit extremen Zielen, der während seiner gefährlichen Expeditionen viele physikalische Daten erfasste, um seinen Wissensdrang zu befriedigen. Für Humboldt waren Messdaten keine abstrakten Zahlen. Sie verhalfen ihm Vergleiche herzustellen und die Natur als Gesamtheit zu betrachten, in der die einzelnen Bestandteile sich gegeneinander beeinflussen und voneinander abhängen. Humboldt ist ein faustischer Mensch der wissen möchte, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Er pflegte einen engen brieflichen Kontakt mit vielen Wissenschaftlern. Auch als Naturforscher sieht Humboldt sich als Teil eines Netzwerkes von Wissenschaftlern, der sein Wissen teilt und auf das Fachwissen anderer Naturforscher angewiesen ist. In öffentlichen Vorträgen mit einer hohen Frauenbeteiligung teilt Humboldt sein Wissen mit wissenschaftlichen Laien. Noch waren Frauen zu keiner höheren Ausbildung zugelassen.
Befreundet mit Johann Wolfgang von Goethe, war er für Goethe ein anregender Gesprächspartner.

Man könnte in acht Tagen nicht aus Büchern herauslesen, was er in einer Stunde vorträgt.1

Goethe setzte in seinem Roman Wahlverwandtschaften Humboldt ein literarisches Denkmal2.

Teil dieser Biografie sind Kurzbiografien von Personen, die Humboldt in seinem Denken und Handeln beeinflusste. Einer dieser Naturforscher war Charles Darwin, der Humboldt verehrte.

„In Humboldts Beschreibungen gäbe es eine“ seltene Verbindung von Dichtkunst und Wissenschaft.3

Viele Gedanken, Ideen und Erkenntnisse Humboldts sind heute Konsens in der Gesellschaft. Vielleicht ist Humboldt deshalb in Vergessenheit geraten. Bei seinen Reisen sieht er die Zerstörung der Natur durch eine intensive landwirtschaftliche Nutzung, und der Mensch damit seine Lebensgrundlagen zerstört. Humboldt sieht die Natur als Ökosystem, in der die einzelnen Bestandteile sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind. Als Kosmopolit und Sozialwissenschaftler verurteilte Humboldt die Sklaverei.
Die Aktualität von Humboldt ist sein Denken in Zusammenhängen. Humboldt war Physiker, Chemiker, Geologe, Botaniker, Klimatologe, Astronom, Wirtschaftsgeograf, Ethnologe … und überwand somit die Aufspaltung der wissenschaftlichen Einzeldisziplinen. Ein Ansatz, der in der Ökologie verwirklicht wird.

Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. C. Bertelsmann Verlag, München 2016

Ist diese Biografie über Humboldt gelungen? Diese Biografie ist es eine Fleißarbeit mit über 100 Seiten, Anmerkungen und Literaturhinweisen.
Die Darstellung Humboldts ist sehr positiv. Diese Biografie wurde für amerikanische Leser geschrieben, die sich gerne mit Personen oder Helden identifizieren, die jedes Hindernis überwinden. 
Diese Biografie ist eine sehr gute Ergänzung zu dem Roman von Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt und erzählt das Leben eines faszinierenden Menschen.

Alexander von Humboldt und die Musik

War Alexander von Humboldt musikalisch? 1842 traf er in Paris den Komponisten Hector Berlioz (1803 – 1869), vermittelt wurde das Treffen durch den Komponisten Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864). Mit Empfehlungsschreiben förderte Humboldt die künstlerischen Karrieren beider Komponisten.
Humboldt war häufig Gast der Familie Mendelssohn und mit den Familienmitgliedern eng befreundet. Das Bankhaus Mendelssohn übernahm die Verwaltung seiner Finanzen und unterstützte mit einem zinslosen Kredit seine Südamerikareise.
Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 – 1847) komponierte als Auftragsarbeit die Humboldtkantate, die 1828 zur Eröffnung des Naturforscherkongresses im Konzertsaal der Singakademie in Berlin unter seiner Leitung uraufgeführt wurde. An diesem Kongress nahmen auch die Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1755 – 1855) und Charles Babbage (1791 – 1871) (Babbage entwarf einer mechanischen Rechenmaschine) teil. In dem Konzertsaal der Singakademie hielt Humboldt auch Vorträge zu seinen Reisen. Zuhörerin war auch die Komponistin Fanny Mendelssohn (1805 – 1847) , die Schwester von Felix Mendelssohn.

Die Herren mögen spotten, soviel sie wollen, schrieb sie, es ist herrlich, dass in unseren Tagen uns die Mittel geboten werden, auch einmal ein gescheites Wort zu hören“4

Im Garten der Leipziger Straße 3, dieser gehörte dem Bankier Abraham Mendelssohn, der Vater von Felix und Fanny Mendelssohn Bartholdy, errichtete Humboldt eine Kupferhütte zur Beobachtung magnetischer Phänomene. Während Felix Mendelssohn nebenan im Gartensaal an einer Wiederaufführung der Matthäuspassion von Bach arbeitete, maß Humboldt den Erdmagnetismus. Heute ist das Herrenhaus in der Leipziger Straße 3, der Sitz des Bundesrates.

Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. C. Bertelsmann Verlag, München 2016

1) ebd. S. 48
2) ebd S. 172 : Ottilie, eine Hauptfigur in dem Roman: Wie gern möchte ich nur einmal Humboldten erzählen hören!
3) ebd S. 282

4) Leseprobe zu R. Larry Todd: Felix Mendelssohn Bartholdy, Teil 1
Humboldt war musikalisch / Konzert und Symposium über Mendelssohn, Meyerbeer, Wagner und Alexander-von-Humboldt.

5) Kopf des Tages. Alexander von Humboldt. Der Drang zum Erbrechen war mit Schwindel verbunden. Die Welt. 23. Juni 2021. Abgerufen am 9. Juli 2022

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