Niklas Maak. Servermanifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen.
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Microsoft versenkte Server in einen Metallzylinder vor der Küste von Nordschottland. Ein Unterseekabel leitet die Daten und den Strom zu den Servern.4 Eine schöne Vorstellung: um unsere Daten schwimmen Fische und andere Meerestiere.
Digitale Daten sind nicht fassbar und scheinen nicht erdgebunden zu sein. Sie scheinen unsichtbar zwischen Erde und Himmel zu schweben, in der Cloud (Wolke). Doch auch die Cloud ist etwas sehr Banales und Materialistisches: Gebäude, in denen Server stehen. Über diese Gebäude schreibt der Architekturkritiker Niklas Maak. Maak schreibt für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeine Zeitung und lehrte als Gastprofessor Architekturgeschichte an der Städelschule in Frankfurt am Main.
Doch wem gehören die gespeicherten Daten in den Datencentern und wer darf die Daten nutzen?
Kann es für uns alle wirklich von Vorteil sein, wenn fünf Unternehmen die gesamte digitale Ökonomie kontrollieren?2
Ein weiterer Gesichtspunkt sind die ökologischen Schäden, die Datencenter verursachen.
Datencenter
So wie digitale Daten unsichtbar sind, so sind auch die digitalen Speicherorte unsichtbar, obwohl diese Gebäude Sitz einer gesellschaftlichen Macht sind. Andere Gruppen demonstrieren ihre gesellschaftliche Macht mit spektakulären Gebäuden wie z.B die Finanzindustrie, Banken und Religionsgemeinschaften. Nirgendwo steht ein Amazon- oder Facebook-Tower. Die Gebäude der Digitalunternehmen stehen nicht in den Zentren, sondern in der Peripherie. Somit wird auch die Macht dieser Digitalunternehmen unsichtbar. Auch das Verschönern der Fassaden von Datencentern dient dem Ziel, die Macht der Digitalunternehmen zu verbergen.
Datencenter erscheinen als umweltfreundliche Branche. Die Notstromaggregate vieler Datencenter mit Dieselmotoren betrieben. Die Datencenter verbrauchen sehr viel Energie für die Speicherung und Auswertung der Daten oder für die Erzeugung von Bitcoins in der Blockchain.
in der Serverfarm5 wird die Cloud zur Abgaswolke3
Man kann allerdings die Abwärme von Datencentern ins Fernwärmenetz einspeisen.
Datensouveränität
Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts. Was in Datencentern passiert, ist ein Problem für die Demokratie. Die Daten werden nicht nur gespeichert, sondern auch ausgewertet und verkauft. Sie können somit zur Manipulation der Bürger eingesetzt werden. Shoshana Zuboff6 spricht deshalb auch vom Zeitalter des Überwachungskapitalismus.
Das Manifest nennt ein Beispiel: Während des Lockdowns 2020 konnten in Großbritannien die Abiturprüfungen nicht stattfinden, also errechneten die Lehrer die Abschlussnoten aus den bisher erbrachten Leistungen. Diese Noten wurden später vom Bildungsministerium durch einen Algorithmus korrigiert
der auf der Basis der Durchschnittsabschlussnoten früherer Jahre die wahrscheinlichen Abschlussnoten des Jahrgangs 2020 errechnete.7
Fast vierzig Prozent der Schüler bekamen schlechtere Noten. Ein Beispiel für eine gemeingefährliche Auswertung von gespeicherten Daten. Algorithmen gehen von einem statischen Menschen- und Gesellschaftsbild aus. Algorithmen schreiben die Vergangenheit einfach in die Zukunft fort und erkennen nicht, das Menschen und Gesellschaften sich verändern. Vielleicht waren die Schüler im Jahr 2020 fleißiger und besser. Aber dies Beispiel zeigt auch, das wir der Auswertung unserer Daten nicht ausgeliefert sind. Nach „Fuck the algorithm“ Protesten nahm das Bildungsministerium die Bewertung zurück.
Personenbezogene Daten müssen denjenigen gehören, die sie produzieren8
Noch in den 60 er und 70 er Jahren betrieben staatliche Institutionen Datencenter. Dann stiegen vermehrt private Anbieter in das Geschäft der Datenspeicherung ein.
Zurzeit herrschen zwei Modelle vor: Einerseits Diktaturen, die beabsichtigen, mit der Sammlung von Daten ihre Einwohner zu überwachen und zu kontrollieren. Andererseits ein Wirtschaftsliberalismus, der zur digitalen Abhängigkeit von (amerikanischen) Monopolen führte und deren Dominanz stärkte. Eine Alternative ist auch nicht eine Abhängigkeit von europäischen Techunternehmen. In beiden Fällen dienen die Daten den Profitinteressen der Digitalkonzerne. Denn entscheidend ist nicht, wo die Server stehen, sondern wer die Daten nutzen darf.
Deswegen sollten die Daten zu einem öffentlichen Gut werden und zur Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur eingesetzt werden, um damit dem „Wohl der Gesellschaft“ zu dienen.
Zusammenfassung
Das Manifest ist in einer spröden Fachsprache geschrieben und kann nicht so nebenbei gelesen werde. Trotzdem ist das Manifest für den Leser eine wichtige Information, was im Hintergrund mit seinen Daten geschieht und wie Datencenter unsere Gesellschaft und Umwelt verändern.
Das Manifest beginnt mit einem sehr allgemeinen Vorwort von Francesca Bria (Präsidentin des italienischen Nationalen Innovationsfonds).
Im zweiten Teil konkretisiert Niklas Maak dieses allgemeine Vorwort. Abgeschlossen wird das Manifest mit einem Interview mit Karsten Spengler ( Direktor des Science, Industrie and Technology Business des internationalen Ingenieurbüros Arup in Frankfurt am Main).
In dem Interview werden noch einmal die wichtigsten Fakten zu Datencentern komprimiert angesprochen und kann als Einstieg ins Thema Datencenter gelesen werden.
Das Manifest wird aufgelockert durch zahlreiche Abbildungen. Am Ende des Manifests findet der Leser Utopien von Studierenden der Städelschule in Frankfurt am Main, wie Datencentern ökologisch und gesellschaftliche nachhaltiger gestaltet werden könnten und zu Orten politischer Aktivierung werden.
Popmusik: Kraftwerk. Computerwelt
Das 1981 erschiene Album Computerwelt ist das achte Studioalbum der Band Kraftwerk und zeigt sie als Pioniere der Technomusik. Kraftwerk verbinden ein futuristisches Arrangement mit eingängigen Popmelodien.
Neben raffinierten, damals innovativen Elektronik-Popsongs findet sich in Gestalt des trockenen Tracks „Numbers“ sogar eine kunstvolle Techno-Pioniertat.9
In dem Song Computerwelt singen Kraftwerk über eine Affäre aus dem Jahr 1980. Das Bundeskriminalamt (BKA) zwang die Energieversorgungsunternehmen, die persönlichen Daten von Kunden herauszugeben. Diese Daten speichert das BKA in einer zentralen Datei. Ziel dieser Speicherung war die angebliche Suche nach RAF Terroristen. Die Behörde suchte nach Bürgern, die nicht polizeilich gemeldet waren oder ihre Strom- und Gasrechnungen von ihren Vermietern bar bezahlen ließen. Das BKA verglich die Daten der Energieversorgungsunternehmen, mit denen der Einwohnermeldeämter. Bürger, die in das Suchprofil passten, bekamen Besuch von der Polizei und gleich von der Antiterroreinheit GSG 9.10 Die alte Bundesrepublik hatte ihren ersten Datenskandal.
Zu dem minimalistischen Sound des Songs Computerwelt gehört ein minimalistischer Text. Eine kühle, roboterhafte Stimme beschreibt mit Schlagwörtern viele Begleiterscheinungen der Digitalisierung. Das sammeln von Daten durch staatliche Institutionen und die Gefahr des Missbrauchs dieser Daten durch autoritäre Regierungen.
Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard
Flensburg und das BKA, Haben unsere Daten da11
Mit den gespeicherten Daten suchen Unternehmen gezielt die passenden Konsumenten
Nummern, Zahlen, Handel, Leute11
Die folgenden Zeilen sind geradezu prophetisch. Während der Zeit, die wir auf den Plattformen Facebook, Google etc. verbringen, hinterlassen wir Daten, die die Tech-Unternehmen finanziell vergolden.
Denn Zeit ist Geld11
Dass der Computer alle Lebensbereiche erfasst, erkannten Kraftwerk bereits 1981
Automat und Telespiel
Leiten heute die Zukunft ein
Computer fr den Kleinbetrieb
Computer fr das eigene Heim
Reisen, Zeit, Medizin, Unterhaltung
Reisen, Zeit, Medizin, Unterhaltung11
1) Servermanifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen. Niklas Maak. Hatje Cantz Verlag GmbH. 2022.
2) ebenda S. 18
3) ebenda S. 24
4) ebenda S. 25
5) Serverfarm auch so ein Begriff, der eine Naturverbundenheit der Datencenter vortäuschen soll. Dies erinnert an den euphemistischen Begriff Entsorgungspark aus den 70 er Jahren, bei dem es sich um eine Mülldeponie handelt.
6) Shoshana Zuboff. Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus Verlag, Frankfurt / New York 2018.
7) Servermanifest. Architektur der Aufklärung: Data Center als Politikmaschinen. Niklas Maak. Hatje Cantz Verlag GmbH. 2022. S. 30
8) ebenda S. 51
9) Babyblaue Seiten. Siggy Zielinski. Kraftwerk. Computer World. Abgerufen am 7. Dezember 2022.
10) Der Freitag. Kraftwerk „Computerwelt“. Protestsong Die Geschichte hinter dem Song „Computerwelt“ von Kraftwerk. Abgerufen am 8. Dezember 2022.
11) Computerwelt Lyrics. Abgerufen am 13. Dezember 2022.
Musikexpress Talk: 40 Jahre „Computerwelt“ von Kraftwerk.
von Sassan Niasseri. 13. 05. 2021. Abgerufen am 7. Dezember 2022.
Zeithistorische Forschungen. Studies in Contemporary History. Andreas Greger. „Computer für das Eigenheim“. „Kraftwerks“ Vision eines elektronischen Lebensstils (1981). Abgerufen am 9. Dezember 2022.