Blumfeld. Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
Der Sänger der Band Jochen Distelmeyer las einige Zeit Franz Kafka u. a. die Kurzgeschichte Blumfeld, ein älterer Junggeselle. Der Name der Hauptfigur wurde der Bandname.1 Die Band gehört mit Tocotronic und der Band Die Sterne zu „Hamburger Schule“.
Der Bandname verweist bereits auf eine künstlerische Idee. Die Kurzgeschichte Blumfeld behandelt das Verhältnis des einzelnen zur Gesellschaft und die Forderungen der Gesellschaft an den Einzelnen. Dies ist auch ein zentrales Thema der Band Blumfeld.
Blumfeld verwenden Zitate aus der Philosophie, Literatur und Popkultur. Neben der Musik nehmen die lyrischen Texte eine zentrale Rolle ein. Texte, die wegen ihrer Komplexität und Subjektivität verschiedene Interpretationen zulassen und sich erst beim mehrmaligen Hören erschließen. Auf den ersten Alben dominiert ein Sprechgesang und die Songs hören sich wie vertonte Gedichte an. Das Album Old Nobody beginnt mit dem Vortrag eines sechsminütigen Textes. Trotzdem sind die Melodien, der Rhythmus und der Text gleichberechtigte Elemente.
Natürlich ist mir das Ganze am wichtigsten. Ich mag es nicht, wenn die Leute das aufteilen und dann unterhält man sich nur über die Texte. Was ich auch ok finde – aber nicht ohne zu verstehen oder in Rechnung zu stellen, wie Musik und Text ineinanderwirken.2
Gegründet wurde die Band 1990. Jochen Distelmeyer und André Rattay waren bis zur Auflösung der Band im Jahr 2007 die einzigen übriggebliebenen Gründungsmitglieder.
1992 wird das erste Album veröffentlicht: Ich-Maschine. Das Album wird von den Musikkritikern hochgelobt. Dies gilt auch für, das 1994 erschiene Nachfolgealbum L´ Etat et Moi. Die Band wird zu einem Liebling des Feuilletons und zu einer Kultband.
Das 1999 erschiene Album Old Nobody überrascht die Fans mit trivialen Texten und Melodien.
Musikalische Einflüsse der Band waren der Punk der 70er und 80er Jahre. Die Singer/Song Writer beeinflussten die Band, politische Texte zu schreiben. Aber auch die neuen Stile der 90er Jahre Techno, House und Hip-Hop integrierte die Band.
Von der zweiten LP L‘ Etat et Moi (Der Staat und Ich) stammt der bekannteste Song, Verstärker. Der Albumtitel ist ein abgewandeltes Zitat des französischen Königs Ludwig des XIV („Sonnenkönig“): L’état, c’est moi. (Der Staat bin ich). Die Texte der Band begeisterten Germanistikstudenten.3
Merkst du, was ich merke,
Wenn ich den Eindruck verstärke?
Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg – ein starkes Bild!
Ein Mittel, diesen geschlossenen Raum, Sarg, zu verlassen und das Gefühl von eingesperrt zu sein, Isolation und Stillstand zu überwinden, ist das Schreiben.
Als Text, der kein Behälter-Sarg sein mag,
Schreib ich mich auf,
Um nicht zu ex- oder zu implodieren,
Platzangst reduzieren…3
Distelmeyer mischt in diesem Song verschiedene Sprachen, um seine Ausdrucksmittel zu erweitern. So entstehen schöne Reime, die perfekt zum Rhythmus und der Melodie passen. Inhaltlich jedoch keinen Sinn ergeben.
Merkst du was ich merke,
Wie sich Mystery und Hysteria und History verstärken?
Oder Distelmeyer zitiert Reime aus der Umgangssprache und als Zuhörer fragt man sich, was soll das.
Nanu, denk ick,
Jetz bin ick uff erst war ick zu,
Dann geh ick raus und kieke
und wer steht draußen? Icke.3
Nicht nur der Bandname ist eine Referenz an Franz Kafka. Eine weitere Referenz findet sich in dem Song Von der Unmöglichkeit, „Nein“ zu sagen, ohne sich umzubringen.5
Kafkas Kurzgeschichte Die Verwandlung beginnt mit dem Satz
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.4
In dem Songtext heißt es
Montagmorgen erwachte ich als Missgeburt.
In dem Song Draußen auf Kaution zitiert Distelmeyer den Kriegsfilm Apocalypse Now von Francis Ford Coppola. In der Eingangsszene wartet Captain Willard auf einen neuen Auftrag. Er verbringt die Tage mit Alkohol und verzweifelt an der Eintönigkeit der Tage. Das Intro des Films beginnt mit dem Song The End von den Doors und einem lauter werdenden Hubschraubergeräusch.
Der Song Draußen auf Kaution übernimmt die Hubschraubergeräusche und beginnt mit den folgenden Versen.
Vor meinem Fenster fängt es an sich zu bewegen,
ein neuer Tag nimmt seinen Tageslauf,
einer mehr an dem ich aufstehen muss,
um irgendwas zu tun gegen den Schmerz
1) SZ. Blumfeld-Sänger im Interview: „Bowie und Beck sind nur Jongleure“. 17. Mai 2010, 21:25 Uhr. Abgerufen am 11. November 2023.
2) Björn Fischer. „Blumfeld“. Bandgeschichte, Einflüsse und die Verbindung von Text und Musik. Copyright 2007. Grin Verlag. Open Publishing GmbH.
3) Deutschlandfunk Kultur. Archiv. André Hatting liest Musik
„Verstärker“ von Blumfeld. Von André Hatting · 13.08.2015. Abgerufen am 13. November 2023
4) Franz Kafka. Die Verwandlung. Projekt Gutenberg – DE
Abgerufen am 11. November 2023
5) literaturkritik.de. Archiv/ Frühere Ausgaben
/Nr. 8, August 2019/ Schwerpunkt: Musik und Literatur – Literatur und Musik/ Essays. Ein Versuch über Reflexionen zu Musik und Literatur in der Songlyrik von Tocotronic und Blumfeld. Von Manuel Bauer.
Abgerufen am 13. November 2023.