Joanna Bator. Sandberg
Einleitung
Joanna Bator wurde 1968 in Polen, in Walbrzych (Waldenburg) geboren. Walbrzych ist auch der Schauplatz des Buches. Sandberg ist ein Provinzroman und erzählt eine Familiengeschichte über mehrere Generationen.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die polnische Ostgrenze weiter nach Westen verschoben und der Roman thematisiert die Zwangsumsiedlung der Polen aus der Sowjetunion und deren Ansiedlung in Walbrzych und im niederschlesischen Kohlerevier, sodass die Menschen in ein fremdes soziales Milieu umsiedeln. Sie übernehmen die ehemaligen Häuser der Deutschen, den „Fritzen“, samt Einrichtung. Mit Ironie beschreibt Joanna Bator, wie die Menschen die Erde durchwühlen um nach „Schätzen“ der ehemaligen deutschen Einwohner zu suchen, denn auch sie hatten ihre Wertsachen vor der Zwangsumsiedlung aus der Sowjetunion vergraben.
Der Roman Piaskowa Góra erschien bereits 2009 und 2011 mit dem deutschen Titel Sandberg.
Inhalt
Jadzia Maslak, eine ehemalige Krankenschwester, die wegen eines Arbeitsunfalles ihren Beruf nicht mehr ausübt, kommt nach Walbrzych. Hier fällt sie dem Bergmann Stefan Chumura von der Treppe in die Arme. Nach diesem romantischen Kennenlernen wird schnell geheiratet. Stefan ist Stolz auf seinen Beruf. Als Bergmann genießt er ein hohes Ansehen. Über Beziehungen bekommt Stefan Chumura in einem modernen Hochhaus, auf dem Sandberg, eine bescheidene Wohnung. Stefan macht Abitur und wird zum Oberbergmann befördert. Er sieht untertänig zu seinen Vorgesetzten herauf, sucht die Nähe zu seinen Vorgesetzten und will unbedingt dazu gehören. Er schwimmt mit dem Strom, verehrt den Vorsitzenden der kommunistischen Partei Edward Gierek und wird Mitglied der Partei.
Im Sandberg wohnen Jadzia und Stephan hoch oben im neunten Stock. Stephan hat den Traum auch sozial aufzusteigen. Für ihn hängt ein erfolgreicher Aufstieg nur von seinem Willen ab.
Hoch! freut sich Stefan, hoch hinaus muss man wollen,…2
Jadzia füllt sich in der Ehe unglücklich. Sie sieht sich als Verliererin. An ihr geht das Leben vorbei
Nichts als Verluste1
Ihr Leben ist geregelt mit einer klaren Rollenverteilung, die Jadzia übernimmt
In der neuen Wohnung auf dem Babel ist die Küche Jadzias unanfechtbares Königreich,..
Die Küche ist nicht das Königreich des Mannes,…3
Jadzia ist berufstätig. Die Arbeit in der Küche und im Haushalt zeigt ihr, ihre Überlegenheit gegenüber den hilflosen Männern. Ihr Urteil über die Männer fällt vernichtend aus.
Diese Kerle würden an Dreck und Hunger sterben, wenn sie sich selbst überlassen wären, einer nach dem anderen. Tölpel, Schluckspechte und Bettler sind das, alle miteinander.4
Sie schaut sich Telenovela an und träumt von einem besseren Leben mit einem Ausländer. Für ihre Tocher Dominka plant sie eine bessere Zukunft und hofft, dass ihre Tochter einen Mann aus der BeErDe heiratet, wegen der großen Auswahl an Konsumgütern.
Ihre Schwangerschaft verläuft kompliziert und endet mit einer anschließenden Depression. Ihre Tochter Dominika wächst zunächst bei ihrer Großmutter auf.
Mit ihrem Reinlichkeitsfimmel sieht Jadzia überall Gefahren durch Bakterien. Sie ist eine bodenständige, mit der Tradition verbundene Frau und von der katholischen Kirche geprägt. Doch Jadzia hat auch ein anderes Gesicht. Obwohl sie den polnischen Papst verehrt, führt sie Abtreibungen ohne Gewissensbisse durch. Stephan verfällt dem Alkohol, nachdem seine Aufstiegsträume und seine Hoffnungen auf einen Lottogewinn scheitern. Jadzia übernimmt das Ruder, und ihr Königreich ist nicht mehr nur die Küche. Nach dem Tod Stephans beginnt sie eine kurze, heftige Liebesaffäre.
Der Roman erzählt die Geschichte unterschiedlicher Frauen
Grazynka, eine starke Frau mit einer großen Lebensfreude und mit zahlreichen Männerbekanntschaften. Sie lässt sich Konsumgüter schenken, und scheint mit den Männern zu “ spielen“.
…der das strotzende Leben aus allen Poren trat,..5
Anderer Frauen verteidigen das Bestehende und stemmen sich gegen jede Veränderung. Die autoritäre Lehrerin Dominikas, mit dem bezeichnenden Namen Magister Demon, unterrichtet die Schüler mit eiserner Hand und lehrt ein traditionelles Frauen- und stockkonservatives Gesellschaftsbild. Dominika ist wegen ihres Aussehens und nach dem Tod ihres Vaters als Waisenkind eine AußenseiterIn. Magister Demon hält Dominika für dumm und faul. Doch Dominika entwickelt beachtliche Fähigkeiten in der Mathematik und wird Schülerin des Gymnasiums. Jadzia sieht den Wert ihrer Tochter steigen, um einen Mann aus der BeErDe zu heiraten. Dominka hat andere Lebensvorstellungen. Sie geht mit dem katholischen Kaplan ein Liebesverhältnis ein und plant mit ihm zu fliehen.
Dominikas Großmutter Sofia Maslak trifft während des Krieges in ihrem Garten den Juden Ignacy Goldberg, der aus dem Warschauer Ghetto floh. Nach einer kurzen Bedenkzeit versteckt sie Ignacy mutig in ihrem Haus und rettet ihm das Leben. Ignacy ist der Vater Jadzias. Ignacy wandert in die USA aus und erst nach vielen Jahren sieht er Sofia wieder. Bei einem antisemitischen Brandanschlag kommen beide ums Leben.
Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus wird das Bergwerk geschlossen, die Bergleute verlieren ihre Arbeit, die Stollen geflutet und der Hügel, auf dem das Hochhaus steht, sackt ein. Für Dominika und ihre Mutter beginnt eine neue Ära. Dominika ist neugierig auf die Welt, verlässt den Sandberg und geht ins Ausland. Ihre Mutter folgt ihr in das fremde Land.
Zusammenfassung
Hintergrund des Romans ist die polnische Geschichte von den Zwangsumsiedlungen nach dem 2. Weltkrieg, die bestehenden Ressentiments gegenüber Fremden und den vorhandenen Antisemitismus, die Phase der kommunistischen Herrschaft bis zum Zusammenbruch des Sozialismus.
Der Roman begeistert durch einen wundervollen Humor und eine bildreiche, lakonische und manchmal auch drastische Sprache. Joanna Bator gelingt es immer wieder tragische Szenen mit einer Komik zu beschreiben.
Der Roman erzählt vom Alltagsleben der Menschen. Er beschreibt plastisch und detailliert die Lebensgeschichte und die Persönlichkeit unterschiedlicher Menschen, und die Beziehungen der Menschen untereinander. Schwerpunkt sind die einseitigen Beziehungen zwischen Männer und Frauen und die Unzufriedenheit der Frauen in diesen Beziehungen. Die Männer fühlen sich überlegen und werden häufig negativ beschrieben. Die Frauen sind die interessanteren Personen. Sie meistern das Leben auch ohne Männer.
Ein anderes Thema des Buches ist das Fremde. Die Menschen werden gezwungen, ihre vertraute Umgebung zu verlassen. Sie reagieren auf das Fremde mit Ressentiments und verurteilen ein Abweichen von den traditionellen Werten. In den Familien wird das eigene Fremde verschwiegen. Stephan ist ein uneheliches Kind und sein Vater ist Russe. Der jüdische Vater von Jadzia wird nicht als Pole akzeptiert, sondern zu einem Fremden erklärt.
Erst die jüngste Dominika überwindet das Schweigen und interessiert sich für die „Brüche“ in der Familiengeschichte.
Popmusik. Die polnische Band Lady Pank
Mit ihrer Freundin hört Dominika den Song Zamki na Piasku, der populären polnischen Rockband Lady Pank. Die Band hatte in Polen viele Nummer 1 Hits und wurde 1981 in Breslau gegründet. Die beiden Gründungsmitglieder Jan Borysewicz und der Sänger Janusz Panasewicz sind noch heute Bandmitglieder. Die damals noch namenlose Band benannte sich nach ihrem ersten Song und Hit, Mala Lady Punk (Kleine Punklady). Die Band spielt allerdings keinen Punk, sondern klassischen Rock.
Lady Pank gab Konzerte in Großbritannien, Frankreich, der damaligen DDR und den USA. In den USA erhielt die Band 1985 einige Aufmerksamkeit, weil MTV das Video zu der Single Mniej niz Zero (Weniger als Null) häufiger spielte.
1) Joanna Bator. Sandberg. Suhrkamp Taschenbuch 4404. Erste Auflage 2012. Aus dem Polnischen und mit einem Nachwort von Esther Kinsky. S.73
2) S.74
3) S.158
4) S.175
5) S.104