Jan Reetzes Liebeserklärung an ein 50 Jahre altes Album. Die Geschichte von Kraftwerks „Autobahn“
Wir fahr’n, fahr’n, fahr’n auf der Autobahn
Einleitung
Bestimmte Musikstücke ziehen uns in ihren Bann, weil sie den Zeitgeist oder unsere Gefühle und Einstellungen auf den Punkt bringen. (Dies gilt auch für Gemälde, Filme etc.) Doch viele Jahre später, beim erneuten Hören verliert dieses Musikstück seine magische Wirkung. Unser Leben hat sich halt verändert, und die Gesellschaft diskutiert über andere und neue Themen.
Jan Reetze ist auch nach 50 Jahren von der LP Autobahn begeistert. Zu dieser Faszination trugen auch seine Besuche von Livekonzerten bei.
Als Autobahn erschien, wartete der Fan noch geduldig auf das Erscheinen einer neuen LP seiner Lieblingsband und konnte sich dann erst ein Urteil bilden. Vielleicht erhielten neue LPs deshalb eine größere Aufmerksamkeit. Heute werden neue LPs lange vorher angekündigt, und der Hörer kann einzelne Stücke schon vor der Veröffentlichung hören. Nach der Veröffentlichung nimmt das Interesse ab. Der Musikfreund wartet auf neue Musik.
Als die LP Autobahn am 1. November 1974 erschien, nahmen sie nur wenige zur Kenntnis.
Die Vorgeschichte
Bereits seit den 40er und 50er Jahren experimentierten Künstler mit elektronischen Klangerzeugern. (z.B. Karlheinz Stockhausen). Es entstanden Klangfarben, die von keinem klassischen Orchester zu hören waren. Eine intellektuelle Musik, mit wenigen Zuhörern.
In den 70er Jahren experimentieren Rockmusiker mit elektronischen Elementen. Für einige Kritiker war die elektronische Musik keine „richtige“ Musik. Die Musiker würden an ihren Geräten nur irgendwelche Knöpfe drehen. Dabei musste das Spielen eines Moog Synthesizers erlernt werden, wie auch jedes andere Musikinstrument.
Autobahn war bereits die vierte LP Kraftwerks! Beim Erscheinen ihrer ersten LP nannten sie sich noch Ordnung. Die ersten drei LPs gehören streng genommen nicht zur elektronischen Musik, sondern eher zum Krautrock. Sie sind nicht mehr erhältlich und Ralf Hütter bezeichnete sie als Nullnummern2. Testballons, um einen eigenständigen Stil zu entwickeln und die Arbeitsweise in einem Musikstudio kennenzulernen. Die drei Alben waren eine wichtige Voraussetzung, um ein so durch komponiertes Stück wie Autobahn zu erstellen.
Erst bei der zweiten LP erfolgte die Umbenennung in Kraftwerk. Auf der dritten LP mit dem Titel Ralf und Florian ist ein Minimoog und Voicerecorder zu hören. Der Titel dieser LP zeigt, dass diese beiden Musiker den Kern des Projektes Kraftwerk bilden. Die anderen waren nur Studiomusiker. Dies bestätigt auch Ralf Hütter
Wir waren die ganze Zeit ein Duo, wir hatten lediglich verschiedene Studiomusiker.1
Die dritte LP wurde bereits im eigenen Kling-Klang-Studio produziert.
Autobahn
Das Album erschien 1974 als LP und Kassette! Mit der Ölkrise 1973 und den autofreien Sonntagen bekam der Fortschrittsglaube, für den auch das Auto und die Autobahn stand, erste Risse. Autobahn ist ein humorvoller Kommentar zum „Heiligtum“ der Deutschen. Humor war in der Popmusik eher selten zu hören.
Für Jan Reetze ist Autobahn ist ein Konzeptalbum, das einen Tagesablauf schildert, von einem Morgen zum anderen Morgen. Der Tag beginnt mit einer Autofahrt und endet am nächsten Morgen mit einem Spaziergang.
Jan Reetze analysiert die einzelnen Teile des Stücks. Das Intro ist ein Geniestreich! Es beginnt mit dem viermaligen „Au-to-baaahn“, verfremdet durch einen Vocoder. Ein E-Piano simuliert eine Hupe. Dann sind die Geräusche eines startenden VWs zu hören. Das Stück besteht aus einem einfachen, geradezu kindlichen Songtext und minimalistischen Melodien, die sofort ins Ohr gehen. (Dies gilt auch für die zweite Seite mit den Stücken Kometenmelodie, Mitternacht und Morgenspaziergang)
Mit dem Minimoog wurden Windgeräusche und Motorengeräusche erzeugt. Das Stück erzeugt mit seinen Soundeffekten und den Fahrgeräuschen das Gefühl einer eintönigen Autobahnfahrt, während gleichzeitig die Landschaft vorbeirauscht. Auf der LP füllt das Stück Autobahn mit einer Länge von 22 Minuten und 40 Sekunden die erste Seite.
Was macht den Erfolg von Kraftwerk aus? Für Reetze hatten Kraftwerk eine Spielweise, die sich von der amerikanischer und britischer Band unterschied. Kraftwerk gelang die Verbindung zwischen avantgardistischer Musik und Rockmusik. Sie standen mit ihrer Musik zwischen der elektronischen Unterhaltungsmusik eines Jean-Michel Jarre (Oxygen) und der „kosmischen“, ernsten Musik von Tangerine Dream. Ihre Musik lag irgendwo zwischen Ernst und Unterhaltung. Kraftwerk erzählen mit ihren Stücken konkrete Alltagsgeschichten. Ralf Hütter sagte dazu
Wir erfinden Geschichten und illustrieren sie mit Musik3
Das gilt auch für die 1981 erschiene futuristische LP Computerwelt, die den Einsatz von Computern thematisiert.
Erst nach einer erfolgreichen Tour in den USA und einer gekürzten Version in den USA wurde Autobahn auch in Deutschland ein Hit.
Kraftwerk experimentierte später bei Liveauftritten mit 3-D Projektionen und 1991 erschien The Mix. Ein Versuch, die alten Titel zeitgemäßer zu präsentieren. Für Reetze wirkt das ganze doch eher angestaubt.
Zusammenfassung
Das Buch ist eine persönliche Sichtweise auf das Album und hier schreibt ein Fan über das Album. Vermeidet jedoch eine Heldenverehrung. Für Leser, die sich über diesen Meilenstein der Popmusik informieren möchten, ist das Buch ein schneller Einstieg in die Geschichte der Band und zur Entstehungsgeschichte des Albums mit den wesentlichen Fakten: „Kraftwerk für Anfänger“. Das Buch ist in einem journalistischen Stil geschrieben, angereichert mit persönlichen Erinnerungen und vermeidet einen akademischen Sprachstil. Infografiken veranschaulichen die Diskografie, den Aufbau des Stückes Autobahn und die Geschichte Kraftwerks.
1) Jan Reetzes Liebeserklärung an ein 50 Jahre altes Album. Die Geschichte von Kraftwerks „Autobahn“. Halvmail Verlag.
S.41
2) ebenda S.25
3) ebenda S.84