China Miéville. Perdido Street Station.
Einleitung
Der englische Fantasyautor China Miéville wurde 1972 in Norwich geboren. Er selbst bezeichnet seine Romane als „Weird Fiction“. Literaturkritiker zählen ihn zum „New Weird“. Die Texte dieser Schriftsteller enthalten Elemente verschiedener Genre, Fantasy und Horror. Sie wollen die Fantasy Literatur weiterentwickeln und distanzieren sich von den konservativen Inhalten.
Miéville fühlt sich dem linken politischen Lager verbunden. Er engagiert(e) sich politisch und ist Herausgeber einer marxistischen Zeitung. Weiterhin ist er als Rollenspielautor tätig.
Perdido Street Station gewann 2001 den Arthur C. Clark Award und den British Fantasy Award.
Der Schauplatz
New Crobuzon ist eine Megalopolis, ein Monstrum, eine menschenfeindliche Stadt. Eine Stadt voller Schmutz, Kloaken und giftigen Qualm. In Gettos und Slums vegetieren die Armen und Ausgestoßenen.
Der Stand der technischen Entwicklung
Der Roman besitzt Merkmale des Retrofuturismus und des Steampunks. Die Handlung des Romans spielt etwa um 1779. Die technische Entwicklung deutet jedoch auf einen späteren Zeitpunkt hin. Als Verkehrsmittel dienen Droschken und Luftschiffe. Fabriken verpesten mit ihrem Qualm die Umwelt und dies weist auf eine frühkapitalistische Industrialisierung hin. Es gibt einen Vorgänger der Fotografie. Reinigungsautomaten werden mit Kohlen betrieben und mit Lochkarten programmiert und gleichzeitig entwickelt sich eine Maschine zu einer künstlichen Intelligenz.
Die politische Situation
Der Bürgermeister der Stadt sitzt auf einem Thron und die Inquisition foltert politische Gegner, und doch ist New Crobuzon ein moderner Polizeistaat, der Streiks der Hafenarbeiter brutal niederschlägt. Es besteht kein allgemeines Wahlrecht. Eine Auslosung entscheidet über die Stimmberechtigten und bevorzugt die reichen Bürger. Der korrupte Bürgermeister arbeitet mit der Unterwelt zusammen und es bestehen sogar Kontakte zur Hölle! Die Untergrundzeitung einer radikalen Widerstandsbewegung veröffentlicht die Korruptionsaffären der politischen Klasse.
Die Einwohner der Stadt
In dieser Stadt lebt ein bunte Gesellschaft verschiedener intelligenter Lebewesen: Menschen, Kaktusmenschen, insektenartige Menschen, Vogelmenschen, Wasserwesen, Hybridwesen, halb Mensch, halb Maschine. Straftäter werden bestialisch bestraft. Deren Körper werden monströs verunstaltet, und es entstehen die Remades.
Inhalt
Ein Einwohner dieser Stadt ist der Wissenschaftler Dan dar Grimnebulin. Ziel seiner Forschung ist eine einheitliche Feldtheorie. Befreundet ist er mit Lin, einer Künstlerin und insektenartigen Menschen. Dan dar Grimnebulin erhält Besuch von Garuda, einem Vogelmenschen. Er soll ihm wieder das Fliegen ermöglichen. Um die Grundlagen des Fliegens zu studieren, lässt sich Dan dar Grimnebulin zahlreiche Flugtiere und deren Eier ins Labor bringen. Aus einem dieser Eier schlüpft ein Riesenvogel, der aus dem Labor flüchtet und weitere Vögel befreit. Diese Vögel, Gierfalter, wurden nach einem nicht erfolgreichen Forschungsprojekt an die Unterwelt verkauft und produzieren die Droge Dreamshit. Ein lukratives Geschäft für den führenden Gangsterboss. Die Gierfalter werden zu einer Gefahr für die Einwohner und bedrohen die Existenz von New Crobuzon. Sie hypnotisieren die Lebewesen, die anschließend in ein Koma fallen und ernähren sich vom Unterbewusstsein, der Psyche und den Träumen der Lebewesen. Zurück bleibt eine leere Hülle.
Drei Außenseiter bekämpfen die Vögel. Der wissenschaftliche Außenseiter Dan dar Grimnebulin, die Journalistin Derkhan Blueday, die für die Untergrundzeitung schreibt, und der Vogelmensch Garuda, der von seiner Gemeinschaft ausgestoßen wurde. Ein Verbündeter der drei wird eine riesige Spinne, der Weber. Sie murmelt unverständliche poetische Texte vor sich hin und bewegt sich in mehreren Dimensionen und webt unter ästhetischen Gesichtspunkten ein unsichtbares weltumspannendes Spinnennetz.
Dan dar Grimnebulin bekämpft die Vögel mit seiner entwickelten Krisenmaschine, die nicht den bekannten Gesetzen der Physik unterliegt.
Zusammenfassung
Eine fantastische Welt trifft auf eine reale Welt und das Böse ist konkret.
Dies ist ein klassischer, fantastischer Roman mit nicht menschlichen intelligenten Wesen und einem Showdown zwischen dem „Guten“ und dem „Bösen“. Andererseits vereinigt Miéville seine fantastische Welt mit der aktuellen Gegenwart.
Die Gierfalter stehen für das Böse, und mit ihnen erhält der Roman Horrorelemente. Die Gierfalter sind nicht die Schöpfung dunkler, schwarzer und geheimnisvoller Mächte, sondern das Ergebnis eines Forschungs- und Rüstungsprogramms. Mit Unterstützung der Universität wurde geforscht, ob sich die Gierfalter als biologische Waffe einsetzen lassen. In diesem Roman ist das Böse sehr real. Auch in Gestalt der Unterwelt, die um „Marktanteile“ im Drogengeschäft kämpft und eines korrupten und gefährlichen Polizeistaates. Auch Rassismus tritt in der „Vielvölkerstadt“ New Crobuzon auf.
Die empirische Wissenschaft steht gleichberechtigt neben der Magie (Thaumaturgie). Im Märchen oder fantastischen Roman bewirken Zaubersprüche und die Anrufung von hilfreichen Geistern Wunder. In diesem Roman ist der Erfolg von Wundern immer an den Einsatz (einfacher) Maschinen und an die Grundlagen der Naturwissenschaft gebunden.
Behandelt werden auch ethische Fragen. Wie soll man sich gegenüber einem ehemaligen Straftäter verhalten und darf man einen Menschen opfern, um viele andere zu retten.
Neben den lebenden Figuren ist die Stadt die Hauptfigur. Miéville erschafft mit New Crobuzon eine eigene düstere Welt und beschreibt mit vielen skurrilen Ideen spannend, bildhaft und detailliert die Stadt.
Die Sprache in diesem Roman ist gewöhnungsbedürftig. Der Roman beginnt langsam mit dem Vorstellen der Welt und den Hauptfiguren und nimmt im zweiten Teil Fahrt auf.
Für die mehr als 800 spannenden Seiten brauchte ich nur 2 Wochen. Der Roman ist eine schöne Urlaubs- und Strandlektüre.
Popmusik-Ultravox: I want to be a machine
Ultravox! mit Ausrufezeichen wurden 1974 unter dem Bandnamen Tiger Lilly gegründet. Gründungsmitglieder waren der Sänger John Foxx (Künstlername:Dennis Leigh), der Gitarrist Stevie Shears, der Keyboarder Billy Curry, der Schlagzeuger Warren Cann und der Bassspieler Chris Cross, der am 25. März 2024 im Alter von 71 Jahren verstarb. Das Ausrufezeichen war ein Hinweis auf die deutsche Krautrockband Neu!
1977 veröffentlichte Ultravox! gleich zwei Alben: Ultravox! und Ha!-Ha!-Ha!. Die erste LP war vom Glamrock der Band Roxy Music beeinflusst und wurde von Brian Eno (ehemaliger Keyboarder von Roxy Music) produziert. Beide Alben wurden von den Musikjournalisten negativ besprochen. Der ironische Albumtitel Ha!-Ha!-Ha! war eine Reaktion auf die Kritik am ersten Album. Mit dem zweiten Album schwammen Ultravox ein wenig auf der Punkwelle und doch sind bei den TracksThe Man who Dies Every Day und Hiroshima mon Amour bereits elektronische Soundexperimente zu hören.
Hiroshima mon Amour ist ein Schwarz-weiß Film von Alain Resnais aus dem Jahr 1959. Das Drehbuch schrieb die französische Schriftstellerin Marguerite Duras. Vierzehn Jahre nach dem Abwurf der Atombombe begegnen sich eine Französin und ein Japaner in Hiroshima. An den belastenden Kriegserinnerungen und Traumata scheitert die Liebesbeziehung.
So heisst es in dem melancholischen Song Hiroshima mon Amour
Somehow we drifted off too far
Communicate like distant stars1
Auf dem dritten Album Systems of Romance experimentierten Ultravox noch stärker mit einem elektronischen Sound. Die LP produzierte Connie Plank. In seinem Studio wurde bereits die Kraftwerk-LP Autobahn aufgenommen.
Für den Musikjournalisten Simon Reynolds gehören Ultravox mit ihren „kalten“ und „entmenschlichten“ Songtexten zu den Vorläufern des Synthiepop der 80er-Jahre.
Was Ultravox ganz entschieden zu Vorläufern der Synthiepop-Welle der Achtzigerjahre machte, waren ihre europäische Aura und die unterkühlte Bildwelt der Entmenschlichung und Dekadenz, die der Sänger und Textschreiber John Foxx entwarf.6
Auch das Album Systems of Romance wurde zu einem kommerziellen Flop. Die Band verlor ihren Plattenvertrag und daraufhin verließ John Foxx 1979 die Band und widmete sich seiner Solokarriere. Der ehemalige Kunststudent galt als der kreative Kopf der Band. Foxx arbeitete als Musikproduzent und Grafikdesigner und gestaltete die Buchcover zu Salman Rushdies Roman Des Mauren letzter Seufzer5 und zu Anthony Burgess Roman A Dead Man in Deptford.
Midge Ure ersetzte John Foxx und Ultravox erhielten 1980 einen neuen Plattenvertrag. Sie veröffentlichten die LP Vienna mit dem gleichnamigen Titeltrack. Die Band wurde mainstreamiger, und es stellte sich in den 80er-Jahren der kommerzielle Erfolg mit einigen Hits ein. Die ersten drei Ultravox-LPs passten in keine Schublade. Sie hatten einen eigenen unverwechselbaren Sound. Ein Mix aus Glamrock, elektronischen Sound und Punkeinflüssen. Ultravox besaßen jedoch nicht das Image von Punks. Der Sound war zu experimentell und die Songtexte zu artifiziell.
Neben den musikalischen Einflüssen (Lou Reed und Velvet Underground) und Einflüssen aus der Kultur lies John Foxx sein Interesse an Science-Fiction in seine Musik einfliessen. Ein prägender Einfluss für die beiden Soloalben Metamatic und Cathedral Oceans war der britische Science-Fiction-Autor J.G.Ballard.5 Als weiteren Einfluss nennt Foxx den Roman Nova des Science-Fiction-Autors Samuel R. Delany. In diesem Roman spielt eine Figur auf einem Instrument, ähnlich einem Synthesizer, das auf die Zuhörer wie eine halluzinogene Droge wirkt.4
In einem Interview aus dem Jahr 1963 erklärt Andy Warhol, dass seine Arbeitsweise einer Maschine ähnelt.
The reason I’m painting this way is that I want be a machine, and I feel that whatever I do and do machine-like is what I to want.2
Die Mensch-Maschine ist ein Thema in zahlreichen Science Fiction Büchern und Filmen. Eine Maschine besitzt keine Emotionen, kann nicht verletzt werden und ist befreit vom „Schmerz“ und Enttäuschungen.
Auch Ultravox singen über dieses Thema in dem Song I want be a machine auf ihrem ersten Album.
Ist dieser Zustand für John Foxx erstrebenswert oder doch eher eine Horrorvision?
In dem Song erscheint eine Zeile in deutscher Sprache. Eine Mensch-Maschine mit Emotionen?
In mitternacht, die mensch-maschine
Kissed me on my eyes3
Im weiteren Text soll der Mensch von seinem Körper und Emotionen befreit werden.
Or free me from this flesh3
Leave all emotion dying there
In the Star cold
Beyond all of your dreams3
1978 veröffentlichten Kraftwerk das siebte Studioalbum mit dem Titel Die Mensch-Maschine!
China Mieville. Perdido Street Station. Aus dem Englischen übersetzt von Eva Bauche-Eppers. Wilhelm Heyne Verlag. München. 2. Auflage. Neuausgabe 04/2014
1) Genius. Ultravox – Hiroshima Mon Amour. Abgerufen am 02. August 2024.
2) Internet Archive. WaybackMachine. Das Interview erschien 1963 in der Fachzeitschrift für Kunst Art news. Das Interview führte Gene Swenson. I want to be a machine ist von mir hervorgehoben. Abgerufen am 02. August 2024.
3) Genius. Ultravox. I Want to Be a Machine. Abgerufen am 02. August 2024.
4) Sound on Sound. Generations | Part1: John Foxx. Key Figures From Electronic Music. By Dave Clarke. Published June 2021. Abgerufen am 02. August 2024.
5) Simon Sellars. A Whirlpool with Seductive Furniture: The John Foxx Interview by Simon Sellars. Juli 11, 2006. Abgerufen am 02. August 2024.
6) Simon Reynolds. RIP IT UP AND START AGAIN. Schmeiss alles hin und fang NEU an: POSTPUNK 1978-1984. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Koch International Gmbh/Hannibal. S. 338